7.7.05

BSG: Zur Nachbarschaftshilfe

Medien-Information Nr. 11/05

Versicherungsschutz als "Wie-Beschäftigter" bei Nachbarschaftshilfe?

Der Kläger war Eigentümer eines Reihenhauses, das Teil einer Reihenhausanlage war, die im Frühjahr und Herbst von den Nachbarn gemeinsam gereinigt wurde. Dabei halfen die Ehepartner bzw Familienangehörigen mit. Nach jedem Arbeitstag fand ein gemeinsames Grillen statt. Das benötigte Handwerkszeug brachte jeder selbst mit. Jeder arbeitete dort, wo Arbeiten anfielen.

Am Unfalltag schnitt der Kläger zunächst die Hecke. Die Miteigentümer B. und N. reinigten die gemeinsame Dachrinnenanlage vorne und hinten. Nach einer gemeinsamen Pause am Vormittag waren die Arbeiten kurz vor Mittag im Wesentlichen beendet. Es sollten nur noch die Gitter auf die Regenrinne aufgesetzt und Werkzeuge und Geräte weggeräumt werden. Zu diesem Zeitpunkt entschloss sich N. zu versuchen, das Moos von seinem Dach zu entfernen. Einen Beschluss darüber hatten die Nachbarn zwar nicht gefasst, jedoch hätten sie das Moos von allen Dächern entfernt, wenn dieser Versuch erfolgreich gewesen wäre. Nachdem N. auf sein Dach gestiegen war, kam ihm der Kläger auf der Leiter nach, um ihm zwei Drahtbürsten zuzuwerfen. Dabei stürzte der Kläger von der Leiter und erlitt eine schwere Kopfverletzung.

Die beklagte Unfallkasse lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil der Kläger im Unfallzeitpunkt weder einer abhängigen Beschäftigung als Arbeitnehmer noch einer beschäftigtenähnlichen Tätigkeit nachgegangen sei. Denn er habe im Unfallzeitpunkt eine im eigenen Interesse liegende Tätigkeit verrichtet. Klage und Berufung waren erfolglos. Auch die Revision des Klägers wurde vom BSG nun durch Urteil vom 5. Juli 2005 (Az. B 2 U 22/04 R) zurückgewiesen.

Versicherungsschutz als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer schied schon deswegen aus, weil der Kläger nicht als Arbeitnehmer, sondern aus eigenem Antrieb im Rahmen einer Nachbarschaftshilfe tätig war, als er abstürzte.

Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfall­versicherung konnte danach allenfalls nach § 2 Abs 2 SGB VII als so genannter Wie-Beschäftigter bestanden haben. Danach sind Personen versichert, die zwar nicht in einem förmlichen Arbeitsverhältnis stehen, aber wie ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer, zB im Rahmen einer Nachbarschaftshilfe, tätig werden.

Ob eine Nachbarschaftshilfe also zB in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist, richtet sich im Kern nach den Kriterien für eine Beschäftigung. Versicherungsschutz wird aber auch dann gewährt, wenn die Voraussetzungen eines Beschäftigungsverhältnisses nicht vollständig erfüllt sind und bei einer ggf nur vorübergehenden Tätigkeit die Grundstruktur eines Beschäftigungsverhältnisses gegeben ist, weil

· eine ernstliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert vorliegt,

· die einem fremden Unternehmen dienen soll und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmens entspricht,

· unter solchen Umständen, die einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich sind und nicht auf einer Sonderbeziehung zB als Familienangehöriger oder Vereinsmitglied beruhen.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger am Unfalltag nicht wie ein Beschäftigter tätig geworden. Nach den Feststellungen des LSG - an die das BSG als Revisionsgericht gebunden ist - hatten sich die Eigentümer der Reihenhausanlage zur gemeinsamen Reinigung und Pflege der Anlage verabredet. Die Beteiligung an dieser Aktion und die Arbeitsbeiträge jedes Einzelnen dienten letztlich nicht den Interessen anderer Eigentümer, sondern den gemeinsam Interessen aller Eigentümer - und damit auch des Klägers - an der Erhaltung und Pflege des Eigentums an den Reihenhäusern. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die durchzuführenden Arbeiten vorab geplant waren oder ob sie, wie die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, erst später spontan in Angriff genommen wurden. Da der Kläger mit der zum Unfall führenden Tätigkeit eigene Zwecke verfolgt hat, war er nicht arbeitnehmerähnlich, sondern unternehmerähnlich tätig. Das schließt einen Versicherungsschutz als Wie-Beschäftigter nach § 2 Abs 2 SGB VII und damit Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus.

Az.: B 2 U 22/04 R
P. ./. Unfallkasse Schleswig-Holstein
www.inidia.de/bundessozialgericht.htm

MSR-Kommentar: das Urteil schafft keine Klarheit